XII. Frauen und Kinder
Kaiser Augustus [+ 14 n.Chr.] erließ ein Verbot für Legionäre, vor ihrer Entlassung eine rechtgültige Ehe einzugehen. Damit wollte er verhindern, dass die Zahl nichtkämpfender Personen in der Armee zu sehr anschwoll, bzw. dass Legionen zu sehr an eine bestimmte Gegend gebunden waren. Bei der Notwendigkeit rascher Verlegungen ganzer Einheiten drohten sonst Unzufriedenheit oder sogar Meutereien, wenn die Legionäre ihre Familien zurücklassen mussten. In der Praxis war das Problem allerdings komplexer. Trotz des Eheverbots forderte die Natur ihr Recht auf Fortpflanzung, und Legionäre zeugten an ihren Standorten massenhaft illegitime Kinder mit einheimischen Frauen.
Schon in der Varusschlacht (9 n.Chr.) passierte genau das, was Augustus eigentlich hatte verhindern wollen – das römische Heer wurde durch seinen großen Tross behindert, in dem sich viele Frauen und Kinder aufhielten. Derselbe ‚varianische Krieg’ zeigte aber auch die andere Seite der Medaille: die Besatzungen der abgeschnittenen Außenposten wehrten sich besonders erbittert, da sie nicht nur sich selbst verteidigten, sondern auch ihre Familien.
In den knapp zwei Jahrhunderten danach herrschte die bereits bekannte Kompromisslösung. Legionäre durften auch weiterhin nicht heiraten, aber die Armee drückte ein Auge zu, wenn sie sich Frauen aus der Umgebung hielten. Da viele der jungen Männer in den Provinzen zum Dienst in weit entfernt stationierten Auxiliareinheiten gepresst wurden, blieb zahlreichen einheimischen Frauen keine andere Möglichkeit zu überleben, als eine Verbindung mit einem fremden Auxiliarsoldaten oder einem Legionär einzugehen (letztere hatten den Vorteil etwas höheren Sold zu erhalten). Ohne gültige Ehe drohte bei Tod oder Verlegung des Vaters für Frau und Kind(er) der soziale Absturz.
Manche Legionäre leisteten sich auch persönliche Sklavinnen, und zumindest bei der Orientarmee in Syrien gab es sogar nachweislich heereseigene Zwangsprostituierte (= Sex-Sklavinnen) zur ‚Versorgung’ der Soldaten. Geschlechtskrankheiten waren wohl endemisch.
Als Septimius Severus nach der Niederlage seines Gegners Albinus 197 n.Chr. den Legionären das Recht einer vollgültigen Ehe schon vor der Entlassung gewährte, wurde wohl nur ein bereits bestehender Zustand legalisiert, den man vorher stillschweigend geduldet hatte.
Dementsprechend werden die Auswirkungen dieser Maßnahme gewöhnlich überschätzt, und der „Schlag gegen Beweglichkeit und Disziplin“ war in der Realität wohl längst nicht so gravierend. Die großen Eroberungskriege waren spätestens seit Traian [98-117] vorbei, und die Reichsverteidigung wurde immer statischer. Verlegungen ganzer Legionen an neue Standorte fanden nur noch selten statt. Gelegentlich wurden auch noch komplette Legionen für Feldzüge eingesetzt, aber meistens nahm man dafür lieber vexillationes. Dabei rückte nur ein Teil der Legion aus, dafür aber für mehrere Jahre. Außerdem wurde das Familienproblem nicht völlig lax und disziplinlos gehandhabt. Offiziere und Unteroffiziere wurden auf Feldzügen anscheinend von ihren Frauen (und Kindern?) begleitet, aber einfache Soldaten mussten offenbar auf familiäre Begleitung verzichten.
Immer wieder werden die Ereignisse von 233/4 zitiert, um die schädlichen Effekte der Eheerlaubnis darzustellen: Severus Alexander musste den glücklosen Perserfeldzug abbrechen, weil die Soldaten nach dem verheerenden Allamanneneinfall über das Schicksal ihrer Angehörigen so erbittert waren, dass sie den Kaiser zwangen, sich schleunigst um die Lage in Obergermanien und Raetien zu kümmern (s.o. IV).
Severus Alexander hätte diesen strategischen Kurswechsel aber in jedem Fall durchführen müssen, da Rom einfach zu viele Ressourcen in die Limesregion investiert hatte, um sie weiter von den Germanen plündern zu lassen. Außerdem wäre den Soldaten selbst bei nur eheähnlichen Beziehungen das Schicksal ihrer Freundinnen und illegitimen Kinder nicht einfach vollkommen egal gewesen. Römische Soldaten waren auch vor der Eheerlaubnis nicht von der Aussicht begeistert, Tausende von Kilometern entfernt eingesetzt zu werden. Dagegen musste man sie wohl nicht lange bitten, für den Schutz ihrer Heimatgebiete und Familien zu kämpfen. Die negative Seite der Eheerlaubnis darf also nicht überbewertet werden.
Dagegen hatte die neue Regelung auch ihre Vorteile: Aus Lebensabschnittsgefährtinnen und Bankerten wurden rechtliche Ehegattinnen und Nachkommen mit römischem Bürgerrecht. Für die Familienangehörigen besserte sich dadurch die soziale Lage. Da das römische Bürgerrecht Vorbedingung für die Aufnahme in die Legion war, konnte die Armee durch die Soldatenehen auch auf ein größeres Rekrutierungspotential zurückgreifen, denn die Söhne von Legionären wurden meist ebenfalls Legionär. Caracalla erteilte mit der constitutio Antoniniana 212 n.Chr. allen frei geborenen Bewohnern des Reiches das römische Bürgerrecht, aber die Legionen deckten den größten Teil ihres Rekrutierungsbedarf auch danach aus ‚eigener Produktion’. Dies zeigt auch eine Inschrift aus Regensburg:
D(is) M(anibus)
et perpetuae securitati Aur(elius) Patruinus
mil(es) leg(ionis) III Ital(icae) vix(it) ann(os) XXVIII Aur(elius) Sabinus
c(ustos) a(rmorum) et Aur(elia) Cara mater filio carissimo f(aciendum)
c(uraverunt)
(CIL III 6571 – Grabinschrift 1. Hälfte 3.Jh.? Großes Gräberfeld/Kumpfmühler Straße)
Den Totengeistern
und der immerwährenden
Sicherheit (= ewigen Ruhe) (von) Aurelius Patruinus, Soldat der Leg III Ital,
der 28 Jahre lebte. Aurelius Sabinus, Arsenalmeister, und Aurelia Cara, die
Mutter, haben (diesen Stein) für den allerliebsten Sohn machen lassen.
Der Sohn folgte also dem Vater im Beruf, auch wenn er dann früh starb.
Der personelle Beitrag der Kernregionen des Imperiums (Italien, aber auch Spanien, Griechenland, Kleinasien) zum Schutz der Grenzen schrumpfte dagegen weiter. In den Grenzgebieten verschmolz die Armee dafür immer mehr mit der Lokalbevölkerung und leistete dabei gewollt/ungewollt einen wichtigen Beitrag zur Romanisation.
Zum Abschluss noch ein inschriftlicher Beleg für eine kinderreiche Soldatenehe, die aber tragisch endete:
Cl(audius) Reticus vet(eranus) ex
leg(ione) III Ital(icae)
Aur(eliae) Lucinae quondam coniugi carissimae
vix(it) an(nos) XXXV et Ursioni f(i)lio vix(it) an(nos) XII et Regulae filiae
vix(it) an(nos) V et Luciae filiae vix(it) an(nos) III
f(aciendum) c(uravit)
(CIL III 11968 –
Sarkophaginschrift 3.Jh.? Großes Gräberfeld/Kumpfmühler Straße)
Claudius Reticus, Veteran der
Leg III Ital,
hat für Aurelia Lucina, (seine) allerteuerste Gattin, die 35 Jahre lebte, und (seinen) Sohn Ursio, der 12 Jahre lebte, und (seine) Tochter Regula, die 5 Jahre lebte, und (seine) Tochter Lucia, die 3 Jahre lebte, dies (= den Sarkophag) machen lassen.
Ob der bedauernswerte Veteran Reticus seine ganze (?) Familie durch eine Seuche, eine Hungersnot, einen Bürgerkrieg, oder einen Germanenangriff verlor, ist unbekannt.
Himmler Florian