V. Katastrophen, Siege, Bürgerkriege – Raetien unter Gallienus und Postumus

 

   Im Jahr 253 beauftragte der nur kurz regierende Kaiser Trebonianus Gallus [251-253] einen gewissen Licinius Valerianus mit der Aufgabe, in Raetien Truppen zu sammeln, die dann gegen einen Usurpator namens Aemilianus an der unteren Donau eingesetzt werden sollten.

   Es kam allerdings anders. Valerian putschte selbst, d.h. er ließ sich von den Truppen in Raetien zum Kaiser ausrufen – möglicherweise in der Statthalterresidenz in Augsburg, oder im Garnisonslager in Regensburg (Trebonianus Gallus wurde inzwischen von unzufriedenen Soldaten ermordet). Bei dieser Kaisererhebung dürfte die III Italica eine wichtige, vielleicht sogar die führende Rolle gespielt haben, doch war auch ihre Schwesterlegion II Italica in Noricum an dem Putsch beteiligt.

     

Abb. 9: Antoninian (Doppeldenar) des Valerian – IMP(erator) C(aesar) P(ublius) LIC(inius) VALERIANUS  AUG(ustus) – ROMAE AETERNAE „dem ewigen Rom“ (Foto: Institut f. Klass. Archäologie Universität Regensburg).  

   254 brach Valerian in den Osten auf, wo der persische Großkönig Shapur erneut gefährlich wurde. Auch für diesen Feldzug wurde wie üblich die Grenzverteidigung gerupft. Nach Ausweis einer Siegesinschrift Shapurs (in Griechisch und Parthisch) standen ihm im Heer Valerians auch Soldaten „vom Volk der Raeter“ gegenüber, d.h. nach Septimius Severus, Caracalla, Severus Alexander und Gordian III (?) hatte die Legion jetzt schon zum wahrscheinlich fünften mal Truppen für die Orientfeldzüge abstellen müssen. Fast schon traditionell folgten auf die Schwächung der Grenzverteidigung an Rhein und Donau die unvermeidlichen Germaneneinfälle. In Raetien könnten dabei Weißenburg und Günzburg betroffen worden sein. Immerhin ließ Valerian seinen Sohn und Mitkaiser Egnatius Gallienus [254-268] als ‚Stallwache’ für Gallien, Italien und den Balkan zurück.

     

Abb. 10: Antoninian des Gallienus – IMP(erator) P(ublius) LIC(inius) GALLIENUS P(ius) F(elix) AUG(ustus) – PIETAS AUGG(ustorum) „Frömmigkeit der beiden Kaiser“ (= Valerian und Gallienus)

 (Foto: Institut f. Klass. Archäologie Universität Regensburg)


  Ab 259 überschlugen sich plötzlich die Ereignisse. Nach dem Putsch eines gewissen Ingenuus in Pannonien zog Gallienus mit Truppen vom germanischen Limes und wahrscheinlich auch aus Raetien und Noricum gegen seinen Konkurrenten. Diese erneute Schwächung der Grenzverteidigung führte zu den schwersten Germaneneinfällen seit mehreren Jahrhunderten, denn nachdem sie einmal die längst verwüsteten Grenzzonen durchbrochen hatten, gab es keine Reserven mehr, mit denen man sie hätte aufhalten können. Die Franken stießen bis zu den Pyrenäen vor, während die Allamannen über die Westschweiz in Oberitalien eindrangen. Unter dem Druck der Ereignisse putschte in Gallien ein gewisser Postumus [260-269] und baute schnell ein eigenes Reich auf, das Gallien, Britannien und Spanien umfasste. Kaisersitz war Köln.

   Im Osten war die Lage noch chaotischer: Valerian wurde von dem persischen Großkönig Shapur I gefangengenommen, was im Reich ungläubiges Entsetzen auslöste. In Pannonien bekämpften sich die Truppen von Gallienus und Ingenuus. In Oberitalien trieben sich immer noch die Allamannen herum. Die III Italica hatte schon mit Valerian eine Abteilung in den Orient entsenden müssen (was aus dieser wurde ist nicht bekannt), und für den Feldzug gegen den Usurpators Ingenuus musste sie offenbar ebenfalls ein Truppenkontingent abstellen. Nachdem Gallienus den Gegenkaiser schließlich niedergekämpft hatte, besiegte er die Allamannen bei Mailand (wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des Jahres 260). An diesem Erfolg war die vexillatio der III Italica offenbar ebenfalls beteiligt, denn die Legion wurde zumindest für einen dieser Siege (zusammen mit weiteren Legionen) mit Ehrenprägungen ausgezeichnet (VI pia VI fidelis bzw. VII pia VII fidelis). Diese Münzen zeigen das Wappen der jeweiligen Legion, d.h. auf die Legionsmünzen der Leg III Ital wurde ein Storch geprägt.

 


Abb.8: Legionsantoninian von Gallienus für die Leg III Ital mit dem Legionswappentier = Storch (ciconia)

(aus Cowan, S. 8).


 

   Durch einen enorm wichtigen Inschriftenfund vom August 1992 weiß man inzwischen, dass nicht nur die Franken und Allamannen die Schwäche der Grenzverteidigung ausnutzten, sondern auch die mit den Allamannen verwandten Iuthungen. Diese hatten vielleicht schon 259 erst die Grenze und dann die Alpen überschritten, doch wurden sie auf dem Rückmarsch aus Oberitalien im Frühjahr 260 in einer zweitägigen Schlacht (bei Augsburg ?) abgefangen und vernichtend geschlagen. Der sogenannte ‚Augsburger Siegesaltar’ nennt sogar das genaue Datum der Schlacht (24. und 25. April).    

 

   Der Text der Inschrift lautet folgendermaßen:

 

In h(onorem) d(omus) d(ivinae)/ deae sanctae Victoriae/ ob barbaros gentis Semnonum/ sive Iouthungorum die/ VIII et VII kal(endarum) Maia(rum) caesos /fugatosque a militibus prov(inciae)/ Raetiae sed et germanicianis/ itemque popularibus excussis/ multis milibus Italorum captivor(um)/ compos votorum suorum/[[M(arcus) Simplicinius Genialis v(ir) p(erfectissimus) a(gens) v(ices) p(raesidis)/ cum eodem exercitu]]/ libens merito posuit/ dedicata III idus Septemb(res) imp(eratore) d(omino) n(ostro)/ [[Postumo Au]]g(usto) et [[Honoratiano co(n)s(ulibus)]].

 

Zu Ehren des göttlichen Kaiserhauses.

[= Rest einer älteren Inschrift für Severus Alexander]

Für die heilige Göttin Victoria (wurde dieser Siegesaltar geweiht), weil die Barbaren vom Stamme der Semnonen bzw. Iouthungen am 24. und 25. April geschlagen und vertrieben wurden, (und zwar) von den Soldaten der Provinz Raetien, aber auch von den germaniciani [Legionsvexillationen aus Obergermanien?], wie auch von den populares [eine Bürgerwehr/Miliz der Provinz ?].

Dabei wurden viele tausend gefangener Italer befreit.

Mächtig seiner Gelübde hat Marcus Simplicinius Genialis, der allerperfekteste Mann [= Titel  eines Ritters] und amtierend anstelle des praeses [= senatorischer Statthalter], mit demselben Heer (diesen Stein) freudig und nach Verdienst aufgestellt.

Geweiht am 11. September, als unser Befehlshaber und Feldherr Kaiser Postumus und Honoratianus Konsuln waren.

(die Namen von Simplicinius Genialis, Postumus und Honoratianus wurden später wieder ausgemeißelt – damnatio memoriae!)

 

   Auffälligerweise wird die III Italica nicht auf der Inschrift erwähnt, was Anlass zu zahlreichen Spekulationen bezüglich ihres Verbleibs gegeben hat. War die Legion gar nicht an der Schlacht beteiligt ? War sie vielleicht gar nicht in der Provinz anwesend ?

   Ein kompletter Abzug der Legion aus Raetien ist jedoch auszuschließen, da in dieser Zeit ja fast nur noch mit den schnelleren und logistisch anspruchsloseren Vexillationsabteilungen operiert wurde. Die Legion hatte zwar schon ein paar Jahre vorher eine vexillatio für die Perserfront abgestellt, und für den Kampf gegen den Usurpator Ingenuus, sowie gegen die Allamannen, eine weitere vexillatio abgeben müssen (s.o.), aber ein totaler Abzug von Legionstruppen wäre sehr unüblich gewesen.

   Eine wenig überzeugende These erklärt die ‚Abwesenheit’ der Legion auf der Inschrift damit, dass mit den ‚vielen tausend gefangenen Italern’, die in der Schlacht befreit wurden, keine Gefangenen aus Italien gemeint waren, sondern die eingekesselten und gefangen-genommenen Legionäre, die dann am zweiten Tag der Schlacht vom restlichen Heer herausgehauen wurden ! Diese These stammt allerdings von einem italienischen Historiker, der es offenbar nicht verwinden konnte, dass Teile der römisch-italischen Bevölkerung von germanischen Plünderern verschleppt worden waren. Derselbe Historiker bezweifelt sogar den Sinn der Deportationen, dabei war die Entführung von Spezialisten durch Barbaren gängige Praxis. Zahlreiche Fürstensitze, Badeanlagen und Werkstätten im Barbaricum wurden von römischen Gefangenen erbaut bzw. unterhalten.

 

   Die Legion kann die Provinz auch gar nicht komplett verlassen haben, da die Schlacht offenbar vom Statthalter Simplicinius Genialis gewonnen wurde, und zwar wahrscheinlich irgendwo an der via Claudia Augusta, vielleicht sogar bei Augsburg, oder im Raum der Lechmündung, wo die Iuthungen bei der Überschreitung der Donau am verwundbarsten gewesen wären. In der Umgebung des Statthalters (also in Augsburg) hielt sich aber nach Auskunft der dort gefundenen Inschriften stets ein nicht unerhebliches Kontingent an Offizieren, Verwaltungs-, Schreib- und Polizeisoldaten der Legion auf (s.o. II). Dass auch diese ‚Büro- und Kontrollsoldaten’ notfalls ins Gefecht geschickt wurden, beweist der Grabstein eines beneficiarius der XIII Gemina:

 

Aurelius Veteranus, beneficiarius des laticlavius [= Ordonnanzsoldat des senatorischen Legionstribunen ] von der Legio XIII Gemina, getötet in der Schlacht-reihe, er lebte 26 Jahre, 7 Monate und 15 Tage. Aurelius Secundianus, imaginifer [= Träger des Kaiserbildes] der oben genannten Legion, hat diesen Gedenkstein seinem verdienstvollen Cousin errichten lassen (ILS 2406).

 

   Die Abwesenheit der Legion auf dem Augsburger Siegesaltar hat wahrscheinlich eher politische Gründe. Während der Iuthungenschlacht gehörte Raetien noch zum Herrschafts-bereich des Gallienus, aber als der Gedenkstein geweiht wurde, war der Statthalter Genialis – wohl mit dem größten Teil der Provinz – bereits zu Postumus übergelaufen. Etwa im selben Zeitraum (oder kurz zuvor) ließ Gallienus Gedenkmünzen zu Ehren der ‚treuen’ Legio III Italica prägen. Damit war wahrscheinlich nur die vexillatio gemeint, die ihm gegen Ingenuus und gegen die Allamannen zur Seite gestanden hatte, aber auch der in Raetien zurückgebliebene Rest der Legion machte den Herrschaftswechsel zu Postumus und seinem Gallischen Sonderreich wohl nur sehr unlustig mit (wenn überhaupt). Immerhin war Valerian, der Vater von Gallienus, 253 in Raetien zum Kaiser ausgerufen worden, und Gallienus war für die Legionäre somit der Sohn ‚ihres Kaisers’. Vielleicht wurde Raetien sogar in zwei Machtbereiche gespalten, was die Verteidigungsfähigkeit der Provinz weiter unterminiert hätte (Hinweis Prof. Herz). Falls tatsächlich ganz Raetien zeitweilig zu Postumus überlief, dann war auf jeden Fall die Legionsvexillation an der Seite von Gallienus mehrere Jahre lang von ihrer Muttereinheit abgeschnitten ! In den Wirren der ‚Reichskrise’ war es aber keineswegs selten, dass vexillationes wegen Abspaltungen einzelner Reichsteile über ein Jahrzehnt lang von ihrer Stammeinheit getrennt blieben.

 

  Hätte der raetische Statthalter Simplicinius Genialis nun die Legion auf der Altarinschrift wegen der (sehr wahrscheinlichen) Teilnahme eines Legionskontingents an der Schlacht lobend erwähnt, dann hätte er gleichzeitig eine Einheit geehrt, von der zumindest Teile dem Gegner seines neuen Herrn weiter treu zur Seite standen. Wahrscheinlich wählte man aus diesem Grund lieber die politisch neutrale Formulierung vom ‚raetischen Heer’, ohne die Legion namentlich zu nennen.

 

   Wegen der politischen Querelen kam Raetien aber trotz der siegreichen Juthungenschlacht nicht mehr zur Ruhe. Da immer wieder Kleinkriege zwischen Gallienus und Postumus aufflackerten, wechselte die ausgeblutete Provinz möglicherweise gleich mehrmals den Oberherrn. Das Limesgebiet zwischen Rhein und Donau (agri decumates) ging nach 260 endgültig verloren, da sich niemand mehr die Mühe machte, die zerstörten Einrichtungen wieder aufzubauen und das entvölkerte Land neu zu besiedeln. Weder Gallienus noch Postumus hatten große Lust, ihre knappen Ressourcen in eine zerstörte Region zu investieren, die dann eventuell dem Gegner zufallen könnte. Das ehemalige Limesgebiet blieb daher eine Art Pufferzone, in dem sich inzwischen die Allamannen ausbreiteten. Im späteren 3.Jh. entstand eine neue improvisierte Limeslinie vom Bodensee über Kempten den Fluss Iller abwärts, und dann von der Illermündung (beim heutigen Ulm) bis Eining, wo vorher der ‚alte’ Limes die Donau erreicht hatte.

 

 

Florian Himmler